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Fall 194

Abgekommen

Die junge Meisterin Zjing hatte dem Mönch Wangohan erlaubt, seine eigene Wahl der Techologiern für sein neues Projekt zu treffen.

“Denn wie ich im Tal beobachtet habe,” erklärte sie, “Entwickler zu managen ist wie Vieh zu hüten: Wenn man will, dass das Tier vorwärts geht, ist der schlechteste Ort, an dem man sein kann, ihm im Weg.”

Einen Monat lang war sich Zjing der Weisheit ihres Ansatzes sicher, denn Wangohan war glücklicher, als sie ihn je gesehen hatte. Er kam jeden Morgen früh und motiviert, und verließ seinen Arbeitsplatz fast nur noch um zu schlafen. Einige behaupten, ihn freundlich mit dem Mönch Landhwa plaudern gesehen zu haben, den er sonst verachtete.

Doch in den letzten Wochen hatte sich Wangohan’s Benehmen geändert. Er kam immer noch früh und blieb bis spät, doch er sprach nun zu niemandem mehr. Bei Telekonferenzen wirkte er so farblos und blass, dass Zjing unwillkührlich die Farbeinstellung ihres Monitors prüfte.

Als sie ihn schließlich fragte, was ihn bekümmerte, antwortete Wangohan nur, dass er auf einige unerwartete Schwierigkeiten gestoßen war, doch (so versichterte er) keine Panik, er hätte dies gegoogelt, das heruntergeladen, dem gemailt und von jenem eine Antwort bekommen, und alles würde sich bald fügen. Bevor Zjing nach Details fragen konnte, hatte Wangohan aufgelegt.

Ich muss das untersuchen, dachte Zjing.

Sie begann mit Wangohan’s code, und entdeckte, dass alles daran unbekannt war—sogar die Programmiersprache wurde sonst nirgends im Tempel genutzt. Durch die fremde Syntax watend erfuhr sie, dass die Benutzerschnittstelle auf Basis eines AJAX-JSON-XPath-Frameworks gebaut war, viel zu komplex für die Fähigkeiten der Junior-Entwickler des Tempels. Die Template-Sprache ließ Perl4 zivilisiert und gemütlich aussehen; und die Persistenzschicht war eine derart experimentelle NoSQL-Datenbank, dass die Versionsnummern mit zwei Nullen anfing und mit “alpha” oder “SNAPSHOT” endeten.

Ich habe es untersucht, dachte Zjing. Und jetzt gehe ich ins Bett.

- - -

Am nächsten Tag gestand Wangohan unter erheblichem Druck, dass er die verschiedenen Technologien nicht wie gewünscht zum Laufen bringen konnte. Seltsame Exceptions tauchten auf. Manchmal hing die Applikation, manchmal lief der Speicher voll. Weil er niemanden im Tempel fragen konnte, hatte sich Wangohan an Foren, Mailinglisten, ungetestete Patches und wilde Vermutungen gehalten.

Zjing entschuldigte sich, verließ ihre kleine Hütte und verbrachte den Rest des Morgens damit, in Gedanken an einem Zaun zu lehnen, der an eine Weide grenzte.

Schließlich erschienen auf der anderen Seite des Zauns Rinder, die in ihre Richtung schlurften. Dann noch ein Dutzend, und ein weiteres dahinter.

“Hirte!” rief sie zu dem Mann, der hinter der Herde lief. “Wie schaffst Du es, so viele Rinder zum süßesten Klee zu führen, ohne eins zu verlieren?”

“Wú,” rief der Hirte. “Das mache ich gar nicht, denn Ochsen und Kühe wissen nichts vom Folgen—nur vom Meiden. Seht, wie sie wegstieben, wenn ich mich nähere! Manchmal gehe ich rechts von ihnen, um sie vom Wald fern zu halten, dann wieder auf der linken Seite, um sie vom Graben fern zu halten, und manchmal gehe ich hinter ihnen, damit sie nicht umkehren. Ich bin immer in Bewegung und doch ruhig, und immer sichtbar. So halte ich meine Rinder zusammen, doch nicht so dicht, dass sie panisch werden und und flüchten. Denn die erste Aufgabe des Hirtens ist, eine Herde zu erschaffen. und eine Herde ist eine seltsame Sache, etwa zwischen Ordnung und Chaos.”

Als sie dies hörte, war Zjing erleuchtet.